George Saunders Roman Lincoln im Bardo ist kein typischer historischer Roman – oh nein! Der Ausgangspunkt für seine Geschichte ist der historische Fakt, dass Abraham Lincoln über Monate seinen toten Sohn Willie besucht hat. Saunders wagt neue Erzählwege, die experimentell und dennoch feinfühlig diese Geschichte entfalten.
In der Tat sieht das so aus, dass es gar keinen Erzähler gibt, sondern Geister auf dem Friedhof, auf dem Willie „begraben“ ist, im Dialog miteinander agieren und immer wieder von zitierten Einschüben, die wie Zeugenaussagen von Journalisten und Anwesenden von der Trauer Lincolns berichten, unterbrochen werden. Diese Mischung aus lebenden und toten Stimmen ist dem Bardo geschuldet, dem Zwischenstadium von Leben und Tod, der in diesem Roman wie ein großes Wartezimmer gefüllt ist. Ganz unterschiedliche Meinungen melden sich hier zu Wort.
Der Roman liest sich dadurch wie ein Kommentar über Präsident Lincoln, der zu einer signifikanten Zeit an der Macht war. Während all diese Geister und auch Willie dort warten, verharrt Lincoln selbst in seiner Trauer. All das findet vor der großen Kulisse des Bürgerkrieges statt, der spürbar im Hintergrund waltet und viele andere Eltern den Tod ihrer im Krieg gefallenen Kindern betrauern lässt. Auch einem der mächtigsten Männer der damaligen Zeit bleibt der Tod seines Sohnes nicht verwehrt. Dieser unüberwindbare Verlust eines Kindes und der schier unvorstellbare Schmerz entfesseln sich in diesem Roman.
Die ungewöhnlich erzählte Geschichte bespielt ihr historisches Setting gekonnt. Dadurch ist Lincoln im Bardo eine emotionsgeladene und vielschichtige Erzählung, die dem Leser zwar jede Menge Aufmerksamkeit abverlangt, er dafür aber auch belohnt wird.
Lieben Dank an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!
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