Literatur - Was ich gerade lese!

Der weite Raum der Zeit von Jeanette Winterson

Der weite Raum der ZeitAls ich von dem Hogarth Project gehört habe, war meine erste Reaktion ein Augenrollen, Shakespeare neu zu erzählen, das klingt ein wenig nach Hausarbeit im Deutsch LK. Doch Shakespeare ist allgegenwärtig, auch wenn wir nicht gerade unser Näschen in eins seiner Stücke stecken. Es gibt da nämlich viele berühmte Worte, die den alltäglichen Wahnsinn auf den Punkt bringen, und auch am Theater wird Shakespeare am laufenden Band inszeniert.
Shakespears Stück Das Wintermärchen ist die Geschichte eines Königs, der blind vor Eifersucht seine Tochter verbannt und all die Menschen um ihn in tiefes Unglück stürzt. Jeanettes Winterson hat nun mit ihrem Roman Der weite Raum der Zeit eine ganz eigene Version des Wintermärchens geschaffen. Reiche Männer sind wohl die Könige der heutigen Zeit. Denn viel Geld ermöglicht auch viel, wenn nicht sogar alles. Leo ist einer dieser reichen, selbstgefälligen Männer, die sich alles erlauben. So beschuldigt er seine schwangere Frau Mimi, eine Affäre mit seinem besten Freund Xenos zu haben. Er kann das trotz heimlich installierter Kamera im Schlafzimmer nicht beweisen, beharrt aber darauf, dass er recht hat und weigert sich das Kind als sein eigenes zu akzeptieren. Geblendet von seiner Einbildung, wird Leos Verhalten immer unberechenbarer. In seinem Wahn entführt er das Baby und „verschickt“ es durch einen Mittelsmann zum angeblichen Vater. Von da an nimmt die Tragödie ihren Lauf, denn das Baby wird nie dort ankommen. Gefunden wird es von Steph und seinem Sohn, die das kleine Findelkind Perdita nennen, von diesem Tag an ihr Glück zu dritt versuchen und es auch finden. Doch wie in jedem Shakespeare Stück kommt es auch bei Winterson zu einem Ende, das gar nicht versöhnlich sein kann, aber Licht ins Dunkle bringt.
Es wäre natürlich falsch Winterson mit Shakespeare zu verlgeichen, genauso ist dieser Roman kein Suchbild, in dem Ähnlichkeiten oder Gemeinsamkeiten zum Original gefunden werden sollen. Viel mehr ist es spannend zu sehen, welche Rolle Shakespeare heute spielt. Winterson stellt unter Beweis, dass der Konflikt im Wintermärchen immer noch aktuell ist und hat ihn geschickt in die moderne Zeit gewoben.
So sprunghaft und irrwitzig die Figuren und ihre Entscheidungen, an einigen Stellen auch die Handlung, sein mögen, spiegelt doch gerade dies das echte Leben wieder, wo nichts groß und breit erklärt wird. Winterson ist ein wirklich toller Auftakt dieses Projekts gelungen – es macht große Lust auf mehr.

jeanette winterson autor

Lieben Dank an den Knaus Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars! 

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2 Comments

  • Reply
    Shylock von Howard Jacobson
    3. Juni 2016 at 8:43

    […] Hogarth Shakespeare Project habe ich nun schon ein paar mal erwähnt. Der Roman Der weite Raum der Zeit von Jeanette Winterson hat den Anfang gemacht, nun folgt Howard Jacobsons Roman Shylock. Während […]

  • Reply
    Hexensaat von Margaret Atwood - Hogarth Projekt
    6. Mai 2017 at 10:31

    […] zusammenbringt. Atwoods Neuauflage von „Der Sturm“ sind bereits Jeanette Wintersons Der Weiter Raum der Zeit („Das Wintermärchen“), Howard Jacobsons Shylock („Der Kaufmann von […]

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