Kathrin Weßling trifft mit ihrem Roman Super, und dir? einen wunden Punkt unserer Gesellschaft. Mit Anfang 30 hat Marlene Beckmann alles erreicht, was sich erfolgreich auf den üblich verdächtigen Social Media Kanälen teilen lässt: ein Leben in der Großstadt, einen süßen Freund und neuerdings auch den Traumjob. Doch dieses hübsche Leben ist harte Arbeit. Hinter den Kulissen aka der Realität fordert der neue Job Marlene alles ab. Ihr Privatleben, ihr Freund und die Familie, kommen zu kurz, schließlich auch Marlene selbst. Als ihr lang ersehnter Urlaub schließlich gestrichen wird und ihr Freund ohne sie wegfliegt, bricht Marlene endlich zusammen.
Weßling trifft den O-Ton ihrer Generation, die sich willentlich dem Zwang ständig erreichbar, höchst produktiv und supererfolgreich zu sein, hingibt. Für mich ist es aber nicht nur dieser selbstzerstörerische Druck einer Gesellschaft, sondern auch die Schwäche für Drogen, die zu Marlenes Absturz führen. Sie sind ein Problem keine Lösung! Marlenes Fall ist das Porträt einer selbstoptimierenden Generation im ständigen Refresh-Modus, die das Nehmen von Drogen akzeptiert, aber das Scheitern ablehnt. Beschreibungen über das Konsumieren von Drogen kann ich nicht leiden, weil es mich einfach nicht interessiert und oft als Sprungbrett für ein paar „total crazy“ Eskapaden dient, die dann eher bemüht wirken und sich ständig ähneln, dennoch berühren mich die Stellen über Marlenes Medikamentenmissbrauch. Für jede Tageszeit oder Gelegenheit hat Marlene den passenden Kick parat. Diese eigenwillige Art der Selbstoptimierung führt zu Marlenes körperlichen Zerfall, sie droht langsam zu verschwinden. Auch wenn Marlene versucht, sich von einem Junkie abzugrenzen, wissen wir es als Außenstehende besser, dass es den typischen Junkie nicht gibt. Spätestens jetzt schreit der Leser nach einem anderen Weg, ohne Drogen, Miteinander und der Courage für sich selbst aufzustehen. Genau diese Selbstliebe fehlt mir bei Marlene! Oft fand ich sie darum echt ätzend, aber auf die gute Art. Weil der Leser hier nur etwas lernen kann, dass man zum Beispiel um Hilfe fragen muss, statt sich selbst heilen zu wollen.
Viele pikante Details dieser Großstadt-online-Marketing-Blase kommen einen bekannt vor und ähneln auf erschreckende Weise den Geschichten von Bekannten. Weßling bringt gekonnt die Startup-Kultur auf den Punkt, die in wohliger Kickertischromantik ihre Zähne zeigt. Weßling schreibt sich hier in einen ganz wunderbaren Rausch, der den Leser mitzieht – so herrlich und traurig, weil wahr. Wenn wir eins aus Marlenes Geschichte lernen könne, dann dass sich Erholung und freie Zeit mit den Lieben nicht aufschieben lässt. Den Weg aus einen selbstzerstörerischen Kreislauf findet man nur schwer alleine, das Fragen nach Hilfe zeugt von echter Stärke.
Lieben Dank an den Verlag für die Bereitstellung eines Rezensionsexemplars!
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